Besondere Regeln zugunsten bestimmter berechtigter Personen
Artikel 4 sieht eine Änderung der allgemeinen Regel zugunsten bestimmter berechtigter Personen im Fall von folgenden Unterhaltspflichten vor:
- „der Eltern gegenüber ihren Kindern;
- anderer Personen als der Eltern gegenüber Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit Ausnahme von Unterhaltspflichten aus den in Artikel 5 genannten Beziehungen; und
- der Kinder gegenüber ihren Eltern“.
Für diese Gruppe berechtigter Personen legt Artikel 4 zwei verschiedene „Kaskaden“ zur Bezeichnung des anwendbaren Rechts bei Unterhaltspflichten fest, mit der Absicht, die Anwendung desjenigen Rechts zu begünstigen, nach dem der Berechtigte Unterhalt erhalten kann.
Erste „Kaskade“
Falls nach der allgemeinen Regel nach
Artikel 3, d.h. wenn das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Berechtigten angewendet wird, in dem der Berechtigte keinen Unterhalt erhalten kann, so ist nach Artikel 4 Abs. 2 das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden (lex fori). Falls der Berechtigte nach dem Recht des angerufenen Gerichts keinen Unterhalt erhalten kann, „ist ggf. das Recht des Staates des anzuwenden, dem die berechtigte und die verpflichtete Person gemeinsam angehören (Artikel 4 Abs. 4).
Zweite „Kaskade“
Die zweite „Kaskade“ wird nur in Fällen angewendet, in denen die vom Berechtigten angerufene zuständige Behörde im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltspflichtigen liegt. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Anwendung von lex fori, d.h. in diesem Fall wird das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltpflichtgen angewendet (Artikel 4 Abs. 3). Kann der Berechtigte nach lex fori keinen Unterhalt erhalten, wird das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Berechtigten angewendet (d.h. das nach der allgemeinen Regel anwendbare Recht wird angewendet (Artikel 4 Abs. 3). Und falls der Berechtigte nach diesem Recht keinen Unterhalt erhalten kann, wird (wie in der ersten „Kaskade") das Recht des Staates der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Parteien angewendet (Artikel 4 Abs. 4).
*Es sei angemerkt, dass ein Staat, der den Begriff des „Wohnsitzes“ als Anknüpfungspunkt in Familiensachen kennt, das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht davon unterrichten kann, dass für die Zwecke der Fälle, die seinen Behörden vorgelegt werden, das Wort „Staatsangehörigkeit“ in
Artikel 4 und 6 durch das Wort „Wohnsitz“ im Sinne von
Artikel
9 ersetzt wurde. Irland ist bisher der einzige Staat, der dem Ständigen Büro eine solche Ersetzung notifiziert hat, siehe
Irlands Notifikation nach Artikel 9 auf der Webseite der Haager Konferenz.
Siehe unten eine Veranschaulichung zur Bestimmung des anwendbaren Rechts, wenn eine nach Artikel 4 des Haager Protokolls von 2007 berechtigte Person das Unterhaltsverfahren entweder im Staat ihres gewöhnlichen Aufenthalts (Kaskade 1) oder im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der verpflichteten Person (Kaskade 2) vorbringt. Die Zuständigkeit der Gerichte von EU-Mitgliedstaaten könnte in beiden Fällen aus Artikel 3 der Unterhaltsverordnung abgeleitet werden.
Es sei angemerkt, dass, falls der Berechtigte ein Unterhaltsverfahren im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts vorbringt, das nach den ersten zwei Stufen von Kaskade 1 anwendbare Recht jeweils dasselbe ist, da das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Berechtigten lex fori ist. Natürlich kann auch die dritte Stufe der Kaskade bezüglich des Rechts des Staates der gemeinsamen Staatsangehörigkeit (oder Wohnsitzes) der Parteien zur Anwendung desselben Rechts führen.